Prozessoptimierung
Wie agile Prozesse den Weg in zeitgemäße Formen der Medienproduktion zeigen
Die Welt des Publishings hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Print hat sich zum Premiumkanal gewandelt und unsere aktuellen Publishing-Produkte sind digital geworden. Und auch die digitalen Ausgabekanäle haben sich von statischen zu dynamischen Produkten gewandelt, die sich oft minuten- oder stundenaktuell verändern.
Weblayouts sind nicht mehr allein Templates – responsive Websites sind state-of-the-art. Werbebanner verschwinden immer mehr, natives Advertisement verdrängt die klassischen Werbeformen.
„Deshalb ist es erstaunlich, dass sich unsere internen Publishing-Prozesse nicht verändern oder nur leicht angepasst haben. Schlimmer noch: Die fehlende Veränderung unserer Prozesse wird zu einem Problem für die Gestaltung neuer Medien.“
Viele von uns haben lange Printmedien gestaltet. Und vieles, was für Printmedien funktioniert, wurde einfach für digitale Produkte leicht umgewandelt und angepasst.
Und auch unsere Auftraggeber verlangen schnellere Anpassungen, die auf den Markt und ihre Kunden reagieren.
Daher sind wir laufend im Ausnahmezustand: Neue Anforderungen müssen in unsere Abläufe eingespeist werden, Änderungen sind zu dokumentieren, die Teams müssen laufend mit neuen Briefings versorgt werden.
Aber es gibt Alternativen: Agile Vorgehensweisen zeigen den Weg in zeitgemäße Formen der Medienproduktion.
Das eigentliche Problem liegt nämlich in unserem bisherigen Publishing-Prozess – dem sogenannten Wasserfall: Hier wird stur ein Schritt nach dem anderen abgearbeitet. Die Phasen sind klar voneinander abgegrenzt und werden isoliert von Leuten in ihren Silos aus Teams, Rollen und Berufsbezeichnungen durchgeführt. Solange der vorherige Arbeitsgang nicht abgeschlossen und abgenommen wurde, warten die anderen Teams. Nach jeder Phase wird ein Zwischenstand an den Nächsten im Prozess übergeben.
Nein: Wasserfallprozesse wurden zwar in der Printproduktion gelernt, aber leider wurden sie 1:1 auf digitale Medien wie Websites oder Tablet-Magazine übertragen. Es wird also weiterhin zuerst konzipiert, dann designed und schließlich programmiert und mit Inhalten versehen.
Aus dieser Vorgehensweise resultieren gewaltige Probleme:
Es braucht also eine andere Prozessmethodik für digitale Medien. Eine, die so funktioniert wie die Medien selbst und Veränderungen antizipiert. Genau das leisten agile Prozesse. Doch wie funktioniert das?
Die Änderung findet gleich zu Anfang statt: In agilen Prozessen gibt es kein Lastenheft mehr.
Stattdessen wird eine Vision für das Publishing-Produkt formuliert. Die Vision beschreibt knapp verständlich aus Nutzersicht, wo die Vorteile des Produkts liegen und wohin die Reise geht.
Es gibt auch keine unverständlichen Anforderungsprofile: Stattdessen werden User-Stories geschrieben – einfache Sätze nach folgendem Muster: „Als … [wer] möchte ich … [was], weil … [warum].“
„An den User-Stories arbeiten Techniker und Nichttechniker zusammen. Es gibt keine Hürden. Die Bedürfnisse des Nutzers stehen immer im Zentrum.“
Zusammen mit einer Zeiteinschätzung und einer Priorität wandern sie in einen gemeinsamen Anforderungsspeicher – den „Backlog“. Dabei kann es sich beispielsweise um eine einfache Pinnwand handeln.
Es wird eine feste Zeitbox definiert, etwa eine Woche. Vorbei die Zeiten endlos verspäteter Meilensteine. In dieser Zeitbox, dem „Sprint“, werden User-Stories aus dem Backlog abgearbeitet. Am Ende des Sprints steht immer ein fertiges Produkt, das getestet und gegebenenfalls sogar veröffentlicht werden kann. Danach startet ein neuer Sprint mit den nächsten User-Stories. Jeder Sprint führt näher zur Vision. Es ist aber auch klar: Man wird nie fertig. Die Anforderungen und die User-Stories werden laufend erweitert und angepasst.
Innerhalb des Sprints wird komplett anders gearbeitet als bisher. Denn alle Fachdisziplinen arbeiten gleichzeitig – egal, ob Programmierer/Umsetzer, Designer oder Content-Arbeiter. Und: Alle arbeiten zusammen an einer User-Story. So entsteht der intensivste Austausch zwischen den Disziplinen, eine dichte Verzahnung, bei der jeder etwas zur Lösung des Problems beitragen kann. Kommunikation pur!
Erst durch dieses enge gemeinsame Arbeiten an Lösungen im Sinne des Nutzers wird das Silodenken vollständig aufgelöst. So können beeindruckende Publishing-Erlebnisse entstehen. Erlebnisse, die in die Zeit passen, die die Möglichkeiten der Medien ausnutzen. Erlebnisse, die nur entstehen, wenn die verschiedenen Disziplinen miteinander, statt nacheinander arbeiten.
Wenn wir das Ergebnis nicht vorab kennen, sondern uns agil auf das Ziel zubewegen, dann ist es auch schwierig, z.B. eine Website auf Basis des Erstellens abzurechnen. Festpreise oder Meilensteine sind im agilen Arbeiten nur schwierig abzubilden. Stattdessen ist gegenseitiges Vertrauen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe erforderlich. Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten der Abrechnung – etwa die Vergütung pro Sprint, also pro Zeiteinheit.
Unser Auftraggeber kauft also unser Team für vielleicht vier Wochen und erhält dann das Produkt, das am Ende der vier Wochen geliefert wird. Die Katze im Sack hat unser Kunde aber natürlich trotzdem nicht gekauft: Schließlich ist er ja in die gemeinsame Definition der Anforderungen fest eingebunden. Und auch während des Sprints ist der Kunde ein wichtiger Teil. Dies kann sogar so weit gehen, dass der Kunde Teil unseres Sprint-Teams wird.
Sie glauben nicht, dass das funktionieren kann? Andere Branchen arbeiten schon lange erfolgreich so – wir im Publishing aber nicht. Dabei lassen sich die Methoden so gut übertragen!
Im Buch „Agiles Publishing“ steigen wir tiefer in die Konzepte ein. Und wir zeigen, wie Websites, Tablet-Magazine und sogar Printprodukte agil umgesetzt werden können.
Erfolgreiche Produktionen von digitalen und crossmedialen Publishing-Erlebnissen werden heute agil erstellt. Agil sein, also schnell und flüssig handeln zu können, dies ist das neue Fundament für Publishing und Marketing. Agil sein, ist eine andere Art zu denken und zu agieren. Das Buch ebnet für den Leser den Weg von neuen organisatorischen Ideen zur konkreten kreativen und technischen Ausgestaltung. „Agiles Publishing“ ist mehr als eine Denkschrift: Bestehende Arbeitsweisen werden auf den Prüfstand geschickt, viele konkrete Handlungshinweise erzeugen Lust darauf, die Anregungen schnell in der Praxis umzusetzen.
Aus dem Inhalt:
Matthias Günther ist bei einer Software-Firma verantwortlich für eine Publishing-Software für Print und digitale Medien. Er „lebt“ seit 2003 Scrum, eine agile Methodik. Als Leiter Crossmedia Produktion in einer Werbeagentur konzipiert und realisiert Georg Obermayr integriertes Publishing in digitalen und gedruckten Medien. Er publiziert in verschiedenen Fachpublikationen, spricht regelmäßig auf Konferenzen und arbeitet an Industriestandards mit. Beide sind zusammen mit Detlev Hagemann die Autoren des Buches „Agiles Publishing“, in dem sie beschreiben, wie mit einer agilen Form der Medienproduktion die User Experience und das Storytelling ins Zentrum rücken.
Agiles Publishing
ISBN: 3941951866